„Ich habe die Tabletten schon zusammen- getragen“

Anruferin: Schweigt zunächst, dann weint sie leise und flüstert: "Ich kann nicht mehr!" - schweigt wieder.
Freiwillig Mitarbeitender: "Es geht Ihnen zurzeit gar nicht gut."
Anruferin: "Ja, ich kann so nicht mehr weiterleben. Es zerreisst mich, ich halte diesen Schmerz nicht mehr aus! Schweigen, Schluchzen. Ich kann nicht ohne meinen Mann leben, sehe keinen Ausweg mehr..."

FM        Sie glauben, es gibt für Sie im Moment kein Leben mehr ohne ihn.
         Ja,  wir waren lange zusammen, haben alles gemeinsam unternommen. Wir haben uns geliebt. - Und jetzt hat er mich für eine andere Frau verlassen! - Weint stark. Nach einer Weile: Wissen Sie, wir hatten so viele Pläne; - wollten eine Familie gründen. Und jetzt ist alles vorbei! Ich habe alles verloren! Ich will einfach tot sein. Können sie das verstehen?
FM        Ja, das kann ich verstehen; - und in der Nacht ist sicher alles noch viel schlimmer.
        Ja, in der Nacht ist es besonders schlimm. Am Tag muss ich ja zur Arbeit gehen. Ich kann mich zwar kaum noch konzentrieren, doch bin ich mindestens abgelenkt.
FM        Schön, dass Sie die Arbeit vorübergehend auf andere Gedanken bringt.
         Ja, aber die Nächte kann ich kaum mehr aushalten! Ich denke oft: Ich mache jetzt Schluss … Wissen Sie, ich habe die Tabletten schon zusammengetragen.
FM        Es ist für Sie wichtig, dass Sie diesen Ausweg haben.
A          Ja, im Moment gibt es mir Halt, zu wissen, dass ich die Tabletten nehmen könnte, wenn ich es gar nicht mehr schaffe. Wissen Sie, dieser Mann war meine grosse Liebe, ich habe ihn vor drei Jahren in X kennen gelernt (erzählt lange von ihm).
FM        Er ist noch fest in Ihrem Herzen!
         Ja, er ist ein Teil von mir.
FM        Die eine Seite von Ihnen, wo dieser Teil fehlt, möchte sterben. - Schweigen. -      Und die andere Seite, die jetzt hier angerufen hat, möchte leben?
A          Mmh - ja, da will vielleicht doch noch etwas in mir weiterleben.
FM        Beides steht zurzeit so nahe beieinander. -  Schweigen! - Was braucht die Seite, die noch weiterleben möchte?
A          Jemanden, der das versteht und mich so aushält.
FM        Dass beides da ist, sowohl die Todessehnsucht als auch der Wunsch weiterzuleben?
A          Mmh! - Langes Schweigen.
FM        Und wie geht es Ihnen jetzt?
         Ich bin sehr, sehr müde. Ich werde mich hinlegen und versuchen noch etwas zu schlafen.
FM        Ich wünsche Ihnen, dass Sie noch ein paar Stunden Ruhe finden. Ich möchte Sie ermuntern, uns jederzeit wieder anzurufen.
A          Ja, es tut gut, das zu wissen…  Vielen Dank und gute Nacht.

 

 



 

 

 

 

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„Ich will sterben!“

Mit diesen Worten meldet sich während einer Abendschicht eine Stimme bei Tel. 143. Sie tönt ein wenig rau, wird durch Husten- und Asthmaanfälle öfters unterbrochen und der Atem geht sehr schwer. Die Stimme schreibe ich einer älteren Frau zu. Allerdings: eine Stimme am Telefon einzuschätzen ist immer schwierig. Ich selber wurde auch schon älter und auch schon jünger eingestuft. Nach diesem ersten Satz höre ich nur noch ein sehr schweres At- men. Vorsichtig beginne ich zu fragen, was denn passiert sei und warum die Anruferin diesen Schritt wählen möchte.

Sie erzählt mir dann ihre Lebensgeschichte. In ihrer Jugend wuchs sie auf einem Bauernhof auf. Sie erlebte eine harte Zeit, musste viel arbeiten, helfen bei der „Metzgete“, deren schrecklichen Bilder sie immer noch verfolgen. Ihr Vater war sehr streng und sparte auch nicht mit Schlägen, ihre Mutter schaute weg…. Sie heiratete früh, aber die Ehe dauerte nicht lange, als Alleinerziehende sorgte sie für ihren Sohn. Der Anruferin blieb nicht erspart, dass sie später an einem bösartigen Krebsleiden erkrankte. Seit über einem Jahr leidet sie an sehr grossen Schmerzen. Die Ärzte können ihr ausser mit starken Schmerzmitteln nicht helfen. In der Zwischenzeit hatte ihr Sohn einen schweren Unfall; er ist auf IV-Unterstützung angewiesen. Jetzt muss die Anruferin nicht nur mit ihren körperlichen Schmerzen - die täglich schlimmer werden - umgehen, es kommen noch die seelischen Schmerzen wegen ihres Sohnes dazu. Ich frage sie: «Was passiert dann mit ihrem Sohn, wenn sie sterben? Jetzt ist die Anruferin  gefordert und sie erkennt, dass ihr Sohn ihr sehr am Herzen liegt. Schliesslich sagte er doch: Wenn du gehst, gehe ich auch.» Diese Aussage, das merkt die Anruferin  sehr deutlich, hilft ihr für den Moment, ihre Entscheidung noch hinauszuschieben….

 

 

 

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